Die Jahre auf dem Zeitstrahl

Auf Zeitstreifen sehen wir in der Regel nur Striche mit den Zahlen, nicht die Monate eingezeichnet. Die Monate aber verändern ihre Reihenfolge bekanntlich genauso wie die der Tage nicht, sondern folgen im Unterschied zu den Zahlen immer einer Richtung.

Mit Monaten sieht der traditionelle Zeitstrahl so aus:

 

Insofern handelt es sich bei Monaten und Tagen um einen Zeitstrahl ohne eine Mitte, ohne einen Angelpunkt, um den man alles drehen kann und braucht somit auch kein Jahr Null.

Hilfreich ist es, sich unser Datum anzugucken: Jede Zahl bezeichnet einen Zeitraum: der Tag 24 Stunden, der Monat 28 bis 31 Tage, das Jahr 365 oder 366 Tage. So müsste eigentlich die Zahl auf dem Zeitstrahl nicht an den Strichen, die Silvester um Mitternacht markieren, sondern in der Mitte des jeweiligen Abschnitts stehen.

Dann würden wir dem „Zaunpfahlfehler“ entgehen, der entsteht, wenn man bei einem graden Zaun die Pflöcke statt der Zaunfelder (den Intervallen) zählt. Pflöcke gibt es dann nämlich einen mehr und übertragen auf die Zeit heißt das: ein Jahr mehr.

Verwirrung entsteht auch dadurch, dass wir von Jahren vor und nach Christi Geburt heute sprechen, er aber so spät am 25. Dezember in diesem Jahr 1 geboren sein soll. Damit liegt fast ein ganzes Jahr vor seiner Geburt. Andererseits wurde seine Geburt auch oft als Beginn des neuen Jahres aufgefasst, was wegen der Wintersonnenwende (zwischen dem 21. und 25. Dezember) auch astronomisch nahe liegt, jedenfalls näher als der 1. Januar.

Dionysius Exiguus, der Erfinder unserer Zeitrechnung, hat die Jahre, die auf Jesu Geburt folgten anni ab incarnatione Domini“ „Jahre nach der Inkarnation des Herrn“12 genannt. Damit meinte er den 25. Dezember, der schon lange als Geburtstag Jesu gefeiert wurde. Später kürzte man diesen langen Namen ab und nannte die Jahre „anni Domini“. So werden sie auch heute noch abgekürzt mit AD. Das Jahr und der neue Zeitstrahl hatte also einen Namen.

Da es sich bei der Zählung der Jahre vor Christi Geburt also eigentlich um einen extra Zeitstreifen handelt13, beginnt das Intervall des ersten Jahres vor Christi Geburt, wenn wir an die Monate denken, nicht wie in der Mathematik hinter der Zahl Null oder ohne sie kurz vor dem „Jahr 1 nach Chr.“, sondern gleich hinter der Zahl „2 v. Chr.“ auf dem Zeitstrahl mit dem Januar und endet mit dem Dezember vor der Zahl „1 nach Chr.“. Dagegen beginnt das Jahr „1 nach Chr.“ kurz nach der Zahl „1 v. Chr.“ und endet am Strich mit „1 nach Chr."

(1.) Im üblichen Zeitstrahl sieht es so aus:

(2.) Stehen die Jahreszahlen aber über den Intervallen eines je selbständigen Zeitstrahls, sieht es so aus:

 

 

 

(3.) Nun wurde, wie schon beschrieben, zu leichteren Berechnungen in der Astronomie schon im 18. Jahrhundert von Jacques Cassini ( gest. 1759, s. Anm. 14) die Null in die Mitte des Zeitstrahl gelegt (s. Anm.15) und also die beiden ursprünglich unabhängigen Zeitleisten miteinander verbunden. Dadurch ergibt sich dann folgendes:

 


Alle Jahreszahlen vor Christus müssen dann um ein Jahr vermindert werden. Umgekehrt muss man zu den mit Minuszeichen gekennzeichneten Zahlen ein Jahr dazu addieren, wenn man auf die historische Zeitrechnung kommen will.

 

(4.) Wenn die Jahre als Intervalle gekennzeichnet werden, könnte sich trotz der Null folgendes Bild ergeben.

 

Es müsste also kein Jahr Null als Jahr „vor unserer Zeitrechnung“ auf unserem Zeitstrahl geben. Durch die Null verändert sich nicht die Zählung der Jahre vor Christus, sondern nur die scheinbare Überlappung der beiden selbständigen Zeitstrahle, wenn wir sie als einen aus der Mathematik stammenden Zahlenstrahl ansehen, und die gleichbleibende Reihenfolge der Monate außer acht lassen.

Doch weil die Zeit und mit ihr die Reihenfolge der Monate und Tage nur in eine Richtung verlaufen, nämlich nach rechts und nicht wie beim Zahlenstrahl in beide Richtungen, ist es willkürlich, ob ich das Jahr Null als Intervall im Minusbereich oder im Plusbereich einschiebe. Doch da, wo ich es einschiebe, muss ich dann alle bisherigen Datierungen ändern, indem ich ein Jahr abziehe. Das wären bei den Ereignissen im Plusbereich natürlich viel mehr gewesen.

Wie Wikipedia zeigt, ist die Anzahl der bekannten und einigermaßen datierbaren Ereignisse in diesen Jahren um die „Zeitenwende“ sehr gering, so dass der Unterschied von Intervall und Zaunpfahl nicht auffällt. Historiker haben sich dagegen ausgesprochen, das durch die ISO-Norm 860116 eingeführte Jahr Null und die damit verbundene Neudatierung aller Ereignisse vor Christi Geburt durchzuführen. So gibt es dieses Jahr und selbst diesen Zaunpfahl bei Wikipedia nicht.

Doch wird dort das Intervall der Jahre 1 bis 9 als die „0er vor Chr.“ bzw. „0er nach Chr.“ bezeichnet,17 wobei dies die einziffrigen Jahreszahlen umfasst, bei denen noch eine Null davorgestellt wird, um sie zweiziffrig zu haben. Von ihnen gibt es aber jeweils nur neun, während zu den darauf folgenden Intervallen 10 Zahlen gehören.

Teilt man dagegen das Intervall zwischen 1 vor Chr. und 1 nach Chr. durch eine weiteres Intervall genannt „Null“, dann hat eines der beiden Zehnerjahre wirklich 10 statt 9 Intervalle, aber das andere immer noch nicht. Damit dann aber beide Seiten 10 Intervalle haben, muss man zwei Nullerjahre einfügen, jeweils eins rechts und eins links. Daran wird dann wieder deutlich, dass es sich eigentlich um zwei Zeitstrahlen handelt, die jeweils eine Epoche, eine Ära abbilden, die Zeit vor Christus bzw. die Zeit nach Christus.

Um diesen Verständnisschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, könnte man ja nun auch statt unserer christlichen eine andere damals gebräuchliche Zeitrechnung wählen, so die bis heute existierende jüdische Zeitrechnung oder die Julianische. Doch auch diese Zählungen kennen einen Anfang und man stände wieder vor demselben Problem, ein Jahr vor dem dortigen Jahr Eins eine Null einzufügen oder es zu lassen und die Zeit davor als eine eigene Epoche mit einem eigenen Zahlenstrahl darzustellen. Nur gibt es in diesen uralten, mehr Jahre der Frühzeit umfassenden Kalender keine uns bekannten genaue Daten, die man umrechnen müsste. Dafür müssten wir aber alle Daten der Weltgeschichte neu berechnen und das will doch wohl niemand. So wird es voraussichtlich bei unserer jetzigen Zeitrechnung bleiben, die ein Zeugnis für die Bedeutung Jesu für die Menschen damals bis heute ist.